Barrierefreie Apps: Ein Leitfaden für Auftraggeber

Ältere Frau, die Smartphone bedient
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Gesetzliche Anforderungen: Was Sie über Barrierefreiheit wissen müssen

Im deutschsprachigen Raum sind die gesetzlichen Anforderungen an die digitale Barrierefreiheit klar geregelt und betreffen auch private Unternehmen.

Das Standardwerk für die Umsetzung von barrierefreien Websites und mobilen Produkten ist die EU-Richtlinie EN 301 549 "Accessibility requirements suitable for public procurement of ICT products and services in Europe". Diese legt konkrete technische Spezifikationen und Anforderungen fest, die Unternehmen und Organisationen erfüllen müssen, um den Vorgaben des European Accessibility Act [EAA bzw. EU-Richtlinie (EU) 2019/882] zu entsprechen.

Das österreichische Barrierefreiheitsgesetz (BaFG) basiert auf dieser EU-Richtlinie und verpflichtet Unternehmen, ab dem 28. Juni 2025 ausschließlich barrierefreie digitale Lösungen auf den Markt zu bringen.

Darunter fallen beispielsweise:

  • Computerhardware und Betriebssysteme: PCs, Laptops, Tablets, Smartphones und die darauf laufenden Betriebssysteme.
  • Selbstbedienungsterminals: Geldautomaten, Fahrkartenautomaten, Check-in-Terminals und andere interaktive Selbstbedienungsgeräte.
  • E-Books: Digitale Bücher und Leseanwendungen, die den Zugang zu Inhalten für Menschen mit Behinderungen ermöglichen müssen.
  • Elektronische Kommunikationsdienste: Mobilfunkdienste, Internetdienste, Telefonie- und Messaging-Dienste.
  • Audiovisuelle Mediendienste: Online-Mediatheken, Streaming-Plattformen und andere audiovisuelle Inhalte.
  • E-Commerce-Dienste: Online-Shops und digitale Marktplätze, über die Produkte oder Dienstleistungen verkauft werden.
  • Zugang zu Verkehrsleistungen: Digitale Systeme für die Buchung und Information zu öffentlichen Verkehrsmitteln, wie z. B. Fahrpläne und Buchungssysteme für Bus, Bahn und Flugverkehr.
  • Bankdienstleistungen: Online-Banking, mobile Banking-Apps und elektronische Zahlungsmethoden.

Warum Barrierefreiheit jetzt auch für bestehende Apps Pflicht ist

Um eine umfassende Teilhabe am digitalen Leben sicherzustellen, gelten die Anforderungen nicht nur für neue Entwicklungen, sondern auch für bestehende Lösungen, die bereits vor dem 28. Juni 2025 rechtmäßig eingesetzt wurden. Innerhalb einer fünfjährigen Frist müssen diese bis zum 28. Juni 2030 barrierefrei nachgerüstet werden. Das BaFG sieht dabei einige Ausnahmen vor:

  • Unverhältnismäßige Belastung: Stellt die Anpassung einer digitalen Lösung eine unverhältnismäßige finanzielle oder organisatorische Belastung für das Unternehmen dar, kann eine Ausnahme beantragt werden. Diese muss jedoch gut begründet und dokumentiert werden.
  • Kleinstunternehmen im Bereich der Dienstleistungen: Unternehmen mit weniger als zehn Mitarbeitenden und einem Jahresumsatz oder einer Jahresbilanzsumme von höchstens zwei Millionen Euro sind von der Pflicht zur Barrierefreiheit ausgenommen. Diese Regelung gilt jedoch nicht für die Branchen Bank- und Finanzdienstleistungen, E-Commerce, Transport und Verkehr, Telekommunikation sowie Öffentliche Dienstleistungen.
  • Grundlegende Änderung des Produkts oder der Dienstleistung: Wenn eine Nachrüstung eine grundlegende Änderung der App oder Dienstleistung erfordert, die das Wesen der App erheblich verändern würde, kann ebenfalls eine Ausnahme beantragt werden.

Wie Sie Ihre bestehende App schnell und effizient barrierefrei machen

In die Gestaltung digitaler barrierefreier Produkte sind drei Bereiche maßgeblich involviert: UX UI Design, Technik sowie Redaktion.

Um eine digitale Lösung nachträglich barrierefrei zu gestalten, ist zu prüfen, welche Barrierefreiheits-Anforderungen bereits erfüllt werden:

  • UX UI Design-Abteilung: Überprüfung der Navigation, interaktiver Elemente und Bewertung des Styleguides (Kontraste, Schriftgrößen, Abstände, …).
  • Technische Fachkräfte: Evaluation der Interaktion mit Screenreadern, Tastaturbedienbarkeit und Beschreibung der UI-Elemente.
  • Redaktionsteam: Überprüfung der Inhalte auf Struktur, einfache Sprache, Alt-Texte für Bilder sowie Nutzung von Audio- und Video-Inhalten.

Jedes Team dokumentiert die Ergebnisse und leitet entsprechende Umsetzungsschritte ab. Darauf aufbauend werden die Maßnahmen priorisiert und geschätzt. Die Umsetzung muss nicht zwingend in einem einmaligen Projekt realisiert werden, sondern kann auch in einem fortlaufenden Prozess erfolgen.

Ein wichtiger Bestandteil digitaler barrierefreier Lösungen ist die Barrierefreiheitserklärung. Sie sollte klar und verständlich erklären, wie barrierefrei die Lösung ist und ob es noch Bereiche gibt, die nicht vollständig zugänglich sind. Außerdem muss sie beschreiben, wie Nutzer Probleme melden oder Feedback geben können, und alternative Wege zu den Inhalten nennen. Zusätzlich sollten auch die nächsten Schritte zur Verbesserung und das Datum der letzten Überprüfung angegeben werden.

Die größten Herausforderungen bei der Nachrüstung bestehender Apps

Bei älteren Apps treten häufig Barrieren wie fehlende Screenreader-Unterstützung, unzureichende Tastaturbedienbarkeit und mangelndes Fokusmanagement auf. Interaktive Elemente, die nicht korrekt gekennzeichnet sind, machen wichtige Funktionen möglicherweise gar nicht barrierefrei zugänglich. Die Beseitigung dieser Barrieren erfordert oft tiefgehende Änderungen im Quellcode oder sogar grundlegende Architekturanpassungen.

Häufig fehlen auch interne Ressourcen, um solche Projekte effizient umzusetzen. Wissen über Barrierefreiheitsstandards, Erfahrung darin, vorhandenen Code so zu ändern, dass Barrieren entfernt werden, ohne die Funktionen zu stören, sowie Praxis in der Kennzeichnung von Inhalten und dem Erstellen barrierefreier Dokumente sind essenziell.

Wir stehen Ihnen bei der Erhebung des Handlungsbedarfs und der Optimierung zur Seite. Sprechen Sie uns an!

Die häufigsten Barrieren und wie man sie vermeidet

Folgende Fehler haben an der „Applause 2024 Accessibility Survey“ Teilnehmende am häufigsten beobachtet:

  • Fehlende Untertitel bei Videos: 47.8%
  • Nicht aussagekräftige Fehlermeldungen: 45.1%
  • Fehlende Unterstützung für Screenreader: 40.3%
  • Mangelnde Tastaturbedienbarkeit: 39.3%
  • Unklare Seitenstruktur: 38.5%

Fehlende Untertitel bei Videos

Ohne Untertitel sind wichtige Informationen und Konversationen in Videos für viele Nutzende nicht zugänglich. Fügen Sie genaue Untertitel hinzu, die sowohl gesprochene Worte, als auch wichtige Geräusche beschreiben. Eine manuelle Überprüfung der automatischen Untertitelung ist notwendig, um Genauigkeit zu gewährleisten.

Nicht aussagekräftige Fehlermeldungen

„Ein Fehler ist aufgetreten.“ ist wenig hilfreich und führt eher zu Frustration als zur Lösung. Formulieren Sie Fehlermeldungen präzise und geben Sie konkrete Anweisungen, wie der Fehler behoben werden kann, um zum Ziel zu kommen.

Fehlende Unterstützung für Screenreader

Haben Elemente wie Buttons, Menüs oder Formulare keine passende Beschreibung, hilft der Screenreader nicht. Alle interaktiven Elemente müssen über passende Beschreibungen verfügen und in einer logischen Reihenfolge durchlaufen werden können.

Mangelnde Tastaturbedienbarkeit

Viele Apps setzen voraus, dass Nutzende Touchscreen-Gesten verwenden. Wichtige Funktionen, Menüs und interaktiven Elemente müssen über die Tastatur zugänglich sein, und der Tastaturfokus muss klar sichtbar sein.

Unklare Seitenstruktur

Eine komplexe oder unlogische Navigationsstruktur macht es schwer, sich durch das Produkt zu bewegen. Nutzen Sie eindeutige Bezeichnungen für Menüpunkte und gruppieren Sie ähnliche Funktionen. Verwenden Sie „Skip-to-Content“-Links, damit Nutzer Bereiche überspringen können und verwenden Sie semantisch korrekte HTML-Tags, um die Struktur der Seite für Screenreader verständlich zu machen.

Inklusives Design: Barrierefreiheit von Beginn an mitdenken

Inklusives Design geht viel weiter als barrierefreies Design. Denn inklusiv zu Gestalten heißt Exklusion zu beseitigen. Sprachbarrieren, langsame Internetverbindungen oder das Fehlen von Erfahrung mit modernen Interaktionsmustern sind Faktoren, die Menschen von der Nutzung ausschließen können.

Inklusives Design erfordert nicht nur die Anwendung bewährter Prinzipien. Es erfordert eine Denkweise, die Vorstellungskraft, Lernbereitschaft und vor allem ein hohes Maß an Empathie verlangt.

Um inklusives Design in den Entwicklungsprozess zu integrieren, sollten Designer und Entwickler sehr eng zusammenarbeiten. Werden die Bedürfnisse verschiedener Nutzergruppen schon in der Planungsphase berücksichtigt, können barrierefreie Benutzeroberflächen und zugängliche Funktionen entwickelt werden. Regelmäßige Tests mit Nutzern aus unterschiedlichen Zielgruppen helfen, mögliche Barrieren frühzeitig zu erkennen. Zusätzlich ist es sinnvoll, Feedback fortlaufend einzuholen und dieses für kontinuierliche Verbesserungen zu nutzen.

Testen auf Barrierefreiheit ist unerlässlich: Tools und Methoden zur Qualitätssicherung

Grundlegende Tests können mit automatisierten Tools durchgeführt werden. Gängige Barrieren wie fehlende Alternativtexte, Farbkontrastprobleme oder fehlerhafte HTML-Strukturen werden damit schnell identifiziert. Allerdings decken diese laut verschiedenster Studien nur etwa 30-40 % der Barrierefreiheitsanforderungen ab. Daher sind manuelle Tests unerlässlich. Mit ihnen lassen sich komplexere Probleme wie die Tastaturbedienbarkeit, eine logische Fokusreihenfolge und die Kompatibilität mit Screenreadern prüfen.

Manuelle Tests mit realen Nutzenden, insbesondere mit Personen, die auf Hilfsmittel wie Screenreader oder spezielle Eingabegeräte angewiesen sind, bieten besonders wertvolle Einblicke. Diese Art von Usability-Tests hilft dabei, Nutzererfahrungen besser zu verstehen und echte Barrieren im Nutzungskontext aufzudecken. Zusätzlich können spezialisierte Methoden wie Cognitive Walkthroughs oder Expert Reviews angewandt werden, um spezifische Barrierefreiheitsprobleme systematisch zu identifizieren.

Ein iterativer Ansatz mit wiederholtem Testen und Optimieren trägt dazu bei, die Barrierefreiheit kontinuierlich zu verbessern und langfristig zu gewährleisten.

Barrierefreiheit als kontinuierlicher Prozess: Updates und Pflege barrierefreier Apps

Auch wenn es aufgrund der Relevanz den Anschein hat, dass Barrierefreiheit ein eimaliges Ziel ist, ist es kontinuierlicher Prozess. Es reicht nicht aus, eine App einmal barrierefrei zu gestalten; sie muss regelmäßig aktualisiert und gepflegt werden. Dies bedeutet, dass alle neuen Funktionen und Updates ebenfalls den Barrierefreiheitsstandards entsprechen müssen.

Ein wichtiger Teil dieses Prozesses ist das Einholen von Feedback von Nutzenden, die auf Barrierefreiheit angewiesen sind. Durch deren Rückmeldungen können Probleme identifiziert und behoben werden. Zudem sollte auch im Zuge von Updates überprüft werden, ob die App weiterhin vollumfänglich zugänglich ist. So bleibt die Nutzererfahrung für alle gleichwertig.

Sind Sie bereit, Ihre App barrierefrei zu gestalten? Kontaktieren Sie uns für eine individuelle Beratung!

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